Archiv für den Monat: September 2012

Christoph Keese: exakt positioniert mit einem Hang zur Unschärferelation

Was haben Quantenphysik, Indianerspiele, Leistungsschutzrecht, Gladiatoren, Anonymous, Thomas Mann und Beethoven-Sonaten gemeinsam? Sie alle berühren Christoph Keese (48), Konzerngeschäftsführer Public Affairs der Axel Springer AG und Privat-Blogger unter presseschauder.de, den ich bedauerlicherweise weder bei ihm zu Hause – er schottet sich aus Gründen der Sicherheit ab – noch (wie von mir gewünscht) in seinem Büro treffe. Bleiben mir also die sich gemütlich tummelnden Zierfische im Aquarium der „Mittelbar“ des Axel Springer Verlagshauses in Kreuzberg. Ich muss hartnäckiger werden bei der Wahl meiner Gesprächsorte – hier ist wirklich wenig Persönliches ablesbar, abgesehen von der Wahl des Kaffees: Espresso Macchiato.

 

Das Leistungsschutzrecht ist auf der tagesaktuellen Agenda und ich schicke voraus, dass es bei diesem Portrait keine zentrale Bedeutung haben soll. „Zum Glück“, entgegnet Keese. „Ich rede manche Tage über nichts anderes.“ Natürlich werden auch wir darüber reden. Später. Insgesamt sprechen wir eine Stunde und 19 Minuten, Keese zumeist mit viel Verve und in Sprachbildern. Ein Schnell-Redner und Schnell-Denker. Keines meiner Gespräche für die Portraitzentrale bislang war derart kompakt und doch ergiebig. Keeses Positionierung ist klar definiert, und sie ist hinsichtlich der möglichen Gesetzgebung stark umstritten. In seinem Blog ist Debatte, in seinen Kommentarspalten Buzz erlebbar. Don Dahlmann hatte den Wunsch geäußert, mehr Protagonisten vom Schlage Keeses im deutschen Internet vorzufinden. Das hat mich inspiriert, Keese um ein Gespräch zu bitten.

Noch ein Fläschchen Wasser – los geht’s.

 

Zum Warmwerden plaudern wir über unsere digitalen Vorgärten, er erkundigt sich nach meinem Traffic, ich parliere über den ständigen Lernprozess im Netz; dass es lebe. „Absolut“, sagt er. „Ich persönlich finde, dass es eine noch spannendere Form der Publizistik ist als Printjournalismus.“ Keese ist beeindruckt vom unmittelbaren Feedback und den Analysemöglichkeiten: „Ich hätte vorher als Printjournalist vermutet, dass der Faktor zwischen weniger starken Texten und starken Texten bei zwei bis drei liegt, merke jetzt aber, dass der Faktor irgendwo zwischen 30 und 100 liegt.“ Diese Analysefreudigkeit stände so manchem Printjournalisten heutzutage gut zu Gesicht, denke ich.

 

Keese ist beim Bloggen immer wieder überrascht, wie sehr das Publikums-Interesse abweicht von seinen Erwartungen. Als Beispiel dafür gibt’s gleich mal einen ordentlichen Hieb in Richtung Google: „Beim Thema Suchmaschinenneutralität, also Manipulation der Suchmaschinenergebnisse durch Google, hätte ich zum Beispiel gedacht, dass es auf ein viel höheres Klickinteresse trifft. Ist aber zunächst nicht der Fall gewesen, weil die Menschen sich so in das Selbstbild von Google verliebt haben, dass sie das gar nicht mehr kritisch in Frage stellen.“ Beim Transkribieren des Gesprächs fällt mir auf, dass kein Einatmen wahrnehmbar ist und somit hier den Redefluss unterbricht. Cutter hätten schweres Spiel mit diesem rhetorisch austrainierten Medienprofi. Nahtlos: „Was aber beim Thema Google stark verfangen hat, sind die Google-Ausgaben für Lobbyismus in den USA. Einer der stärkst geklickten Berichte, den ich jemals hatte.“

 

Dieses „Ich“ ist ein wichtiger Punkt – der Public Affairs-Chef des Verlags-Hauses Axel Springer betreibt mit Presseschauder.de ein Privat-Blog, das inhaltlich exakt die Themenfelder seines Arbeitsgebers kreuzt. „Der für mich entscheidende Punkt für ein privates Blog ist, dass ich den Text mit niemandem abstimmen muss. Manchmal schicke ich Dr. Döpfner einen Link – im nachhinein.“ Er arbeitet den Vorteil des Privat-Bloggens am Beispiel des Postings „Warum bild.de kein Piratensender ist“ heraus: „Ein Unternehmen kann keine Gesetzeskommentierung öffentlich vornehmen. Ob dann unsere Anwälte derselben Meinung sind wie ich – weiß ich nicht, bezweifle ich, ich bin kein Jurist, sondern Volkswirt. Wahrscheinlich habe ich kleine Unpräzisionen im Text, die ein Jurist für eine Firma nicht durchgehen lassen würde.“ Sowieso die hohe Justerei, sein Blog, werfe ich ein. „Ich nehme in Anspruch, dass die Sachen zu 99 Prozent richtig sind. Ob die Juristen immer so formulieren würden, ist eine andere Frage. Aber wenn dort ein Fehler stünde, würde ich ihn korrigieren.“

 

Der oder das Blog? „Mir geht ‚das’ nicht über die Lippen, aber im Mittelalter sind schon zu geringeren Anlässen Kriege geführt worden.“

 

Christoph Keese, der „Cheflobbyist“. Findet er eigentlich diese durchgängig genutzte Bezeichnung gut? „Nein. Ich wehre mich nicht dagegen, finde sie aber auch nicht besonders passend. Es wird nicht durchgängig gebraucht, aber vor allem von all jenen, die etwas an meiner Position zu kritisieren haben. Ich glaube, es ist diffamatorisch gemeint, aber ich empfinde es nicht so. Damit wollen sie herabsetzen. Was sie damit sagen wollen, zwischen den Zeilen: ,Er ist die angeheuerte Kanone, die den Politikern auf die Brust gesetzt wird, um Konzerninteressen in Gesetze umzumünzen’. Ich empfinde das nicht so.“

 

Diese Äußerung an sich verwundert natürlich nicht, ich merke auf bei diesem kleinen Wort „empfinden“. Auch das Wort „fühlen“ hat dieser Mann im aktiven Sprachgebrauch. Und während ich noch kurz überlege, wie ich die emotionale Seite von Christoph Keese offenlegen kann, werden wir inhaltlich weiter getragen. Und doch liefert er später im Gespräch die passende Aussage: „Ohne Nachdenken zu erfühlen und zu erahnen ist mir auch wichtig. Ich persönlich habe den Eindruck, dass die intellektuellen und sinnlichen Wahrnehmungswelten immer gleichzeitig da sind.“

Doch noch sind wir beim Thema Lobbyismus. Keese freut sich sichtlich an unserem folgenden Dialog.

Frage: „Lobbying für Google ist doch spannend – die haben die Kammer voll und können los marschieren. Gucken Sie da auch manchmal auch handwerklich drauf?“

„Ja, klar.“ Schmunzeln. Eine für Keese-Verhältnisse extrem lange Sprechpause – drei Sekunden. Abwartend amüsiert blickend.

Ich: „Und?“ Wieder zwei Sekunden Pause. Lächeln.

„Hmm. Kein Kommentar.“ Lächelt weiter. „Ich würd’s anders machen an deren Stelle.“

Rhetorisch, ich: „Ok. Also das ist also keine professionelle Bewunderung, die Sie jetzt schweigen lässt?“

„Nein. Ich persönlich finde, dass Google in einen Konflikt mit der Kreativwirtschaft hinein geraten ist, der sehr fundamental geworden ist, der mit großer Bitterniss geführt wird und der auf Dauer nicht im Geschäftsinteresse von Google sein kann. Ich vergleiche das mit Apple. Hier haben Verlage immer das Gefühl, gehört und verstanden zu werden. Hier spürt man Respekt vor Kreativität. Bei Amazon auch. Das habe ich bei Google noch nicht erlebt. Ich glaube sehr stark an Kollaboration.“ Und weiter: „Google als Ganzes – und es arbeiten viele Freunde von mir bei Google – hat als Charakter des Unternehmens als solches den des ‚zurück gesetzten Nicht-Zuhörers’, im Unterschied zu einem ‚zugewandten Zuhörertum’, zum Beispiel bei Apple.“

Damit landen wir hart auf dem Boden des Leistungsschutzrechts. Wenn nun Google sich nicht kooperativ zeigt, das belgische Modell wählt und die Verlage aus der Suche heraus nimmt? Das Muskelspiel? „Ich komme gleich dazu, dass es so nicht sein wird. Aber nur mal angenommen: Ist das ein Grund für Verlage, ad infinitum zu sagen, nein, wir verschenken das auf Dauer? Das kann doch nicht der Grund sein. Das Argument von Till Kreutzer und vielen andern lautet doch: Ihr werdet erpresst, also beugt Euch der Erpressung. Das ist eine mögliche Antwort. Ein normales Verhalten wäre, dass Google eine Leistung abnimmt und sich mit uns hinsetzt und über den Preis der Leistung verhandelt. Die andere Antwort ist: Man macht den Rücken gerade und vertritt sein eigenes Interesse. Das sind wir wieder beim Schlagwort Lobbyismus. Nein, ich lasse mich nicht erpressen, meine Leistung ist mehr wert als Null. Dafür stehe ich. Wenn Du mich jetzt aussperren willst, dann werde ich Dich als nächstes fragen, ob Du nicht eine marktbeherrschende Stellung inne hast und mit 96 % Marktanteil zu solchen radikalen Maßnahmen kartellrechtlich überhaupt befugt bis. Ich werde aber nicht kuschen, bloß weil ich bedroht werde. Der Kleine soll kuschen, bloß weil der Große schlagen könnte. Das machen wir aber nicht. Wir wollen verhandeln. Wenn wir das jetzt nicht einmal durch deklinieren, dann schaffen wir eine Marktstruktur, die die nächsten 50 bis 100 Jahre nicht mehr geändert werden wird.“

 

Wir driften ab in die möglichen Szenarien von Verwertungsgesellschaften, One-Stop-Shops, Preisstrukturen, zu schreibende Vorstandsvorlagen. Der sachliche Keese. Ich führe an, dass sich mir bei Twitter vor allem eine Grundhaltung aufdrängt, im Sinne von: ,Zum Leistungsschutzrecht? Hier entlang, fragen Sie @christophkeese’.  Dieser lädt verbal durch: „Was ich an dieser Diskussion wirklich anstrengend finde, ist, dass solche ziemlich logischen Erkenntnis-Grenzen überhaupt nicht akzeptiert werden. Auf der einen Seite wird einem jede Frage gestellt und es wird erwartet, dass sie beantwortet wird. Wenn man sie beantwortet, wird so getan, als sei es eine offizielle Antwort und sie wird entsprechend kritisiert. Wenn man sie nicht beantwortet, heißt es, die Verlage wissen nicht, was sie wollen.“ Keine Atempause:

 

„Woher kommt diese Attitude? Sie kommt aus der Kultur der mutwilligen Unwissenheit. Es ist eine Konsumentenhaltung. Man sitzt auf den Rängen, sieht Politik wir in der Arena unter sich laufen. Da ist der Gladiator, da ist der Löwe, senkt oder hebt den Daumen. Meine persönliche Herangehensweise, gerade weil ich nicht Jurist bin – ich nähere mich dem Thema mit Demut. Ich weiß: ich weiß nicht alles.“

 

Positives kann er dem Geraune und Gehacke im Netz auch abgewinnen: „Es gibt Leute, die durchdringen die Themen geistig und wissen ganz genau um die Grenzen und setzen sich dann damit auseinander – und dann macht Bloggen wieder Spaß. Wenn man Leute trifft, die zu berechtigter Kritik kommen. Diese Leute haben das Leistungsschutzrecht, wahrscheinlich unwissentlich, aber doch sehr effektiv weiter entwickelt. Deren Argumente sind in überragender Vielzahl aufgegriffen worden. Da findet Gesellschaftsprägung statt. Das ist die Diskussion, die im Internet im Zeitraffer stattfindet.“ Noch vor den Beckedahl’schen Äußerungen zum Umgang mit anstrengenden Kommentar-Trollen schätzt Keese den Anteil dieser wertvollen Beiträge auf mickrige zehn Prozent. „Leider Gottes“.

 

Womit wir mittenmang in der Netzgemeinde landen und ich eine Szene aus der Cafeteria der re:publica schildere: Ich hatte ihn, Keese, im super-kurzen Händedruck und Plausch mit Thomas Knüwer gesehen. Eine Begegnung, die mich stark an Heinz Schenk und Hape Kerkeling in „Kein Pardon“ erinnert – ein schneller, peinlich berührter Gruß. Bedauerlicherweise verpufft meine Schilderung – Keese kennt diese Szene nicht. „Wenn ich die Kollegen treffe, ist das immer nett. Knüwer sagte, dass er auf dem Weg in die Veranstaltung war, das war der Dialog.“ Ich frage nach dem Bierchen unter Gegnern. „Fast mit allen, mit denen man sich hart auseinandersetzt, kann man ein super Bier trinken“, sagt Keese. „Die enorme Aggressivität entsteht ja nur durch die Nichtanschauung des gegnerischen Antlitzes.“ Keese erinnert sich an eine Begegnung mit Markus Beckedahl für ein Streit-Gespräch des ,Journalist’: „Innerhalb von eineinhalb Stunden sind wir weiter gekommen, als wir in zehn Wochen Bloggen gekommen sind. Das persönliche Gespräch ist unschlagbar im Herstellen von Konsens und der Definition von Dissens und dem konstruktiven Umgang mit Dissens.“

 

Wir sprechen über die ur-deutsche Eigenschaft, sich in Blogs selbst zu zerfleischen. Keeses Blick wird deutlich düsterer: „Die Blogospähre muss sich die Frage gefallen lassen nach ihrer eigenen publizistischen Effektivität. Wir beschäftigen uns alle mit Netzpolitik und das seit zehn Jahren. Und wie beim Indianer-Spiel jagen wir uns gegenseitig durch den Wald und sind froh, wenn der andere den Pfeil abgekriegt hat. In den USA sind derweil entstanden: Mashable, Huffington Post, Politico, TNZ, Business Inside und und und. 20 bis 30 exzeptionell gut gemachte Blogs, bei denen man schon gar nicht mehr von Blogs sprechen kann. Ich persönlich nenne sie Super-Blogs. Diese Themenerweiterung lässt in Deutschland auf sich warten. Wir sehen hier keine kontinuierlichen publizistischen Ansätze wie die amerikanischen Kollegen uns das vorgemacht haben. Wir haben das im letzten Jahr einmal erhoben: Die Top 20 Blogs in Deutschland haben eine durchschnittliche Mitarbeiterzahl von 1,2. Bei den Top 20 Blogs in den USA sind es 49.“ Keese wird kämpferisch. „Da muss die deutsche Blogosphäre hin, sie muss vom Aktivismus übergehen zum Publizismus. Ich sage das im Interesse des Internets.“ Als Freundin des Pathos‘ komme ich voll auf meine Kosten. Echte Leidenschaft.

 

Viel Netz bis hierhin – ich leite über zum persönlicheren Keese. Mir kommen Zweifel, ob ich wirklich an ihn herankomme. Welches war sein Schlüsselmoment bei der persönlichen digitalen Transformation? „Der schleichende Moment war, als mir eines Morgens auffiel, dass ich meh (amerikanische) Blogs lese, als ich klassische Presse lese. Was mich persönlich interessiert – Physik, Wissenschaft, Geschichte, Lyrik, Publizistik – wird in der Blogosphäre besser abgebildet. An dem Tag habe ich gesehen, dass das kein Zufall ist, sondern systembedingt.“ „Das Zweite, dass ich selbst angefangen habe zu bloggen, war, dass ich mich über Daniel Schultz (presseschauer.de) und meinen Streit mit ihm über das Interview so geärgert habe, dass ich gesagt habe ‚Jetzt wische ich ihm einen aus’ und weil’s um Kopieren geht, mache ich einen Blog, der genauso heißt wie seiner.“ Die Geburt von presseschauder.de. „Der Name ist furchtbar.“ Keeses kann über sich selbst lachen. Die Umbenennung steht an, er bietet auf eine vergebene URL. „Wenn mir noch einer erzählt, wie ich ´ne 301er-Umleitung so machen kann, das nichts verloren geht, dann nenn’ ich ihn um.“

 

Keese will das Gespräch beenden und aufbrechen. Mit dem Sekretariat waren eineinhalb Stunden vereinbart, wir haben verspätet begonnen und nun bleiben zu viele Fragen offen. Wir einigen uns auf zehn Minuten – und ich bitte um einen drei-Minuten-Abriss zur Person Christoph Kesse abseits der offiziellen  Vita, ohne Leistungsschutzrecht und Springer. „Ich interessiere mich sehr für Musik. Ich bin überhaupt kein guter Klavierspieler, weil ich leider verpasst habe, das zu pflegen. Seit mehreren Jahren habe ich meine Beethoven-Phase. Ich kann das überhaupt nicht spielen, aber ich bemühe mich darum, es zu verstehen, während ich das spiele. Mein Spezialgebiet sind die Sonaten und ich habe zu jeder dieser 32 Sonaten ein ganz persönliches Verhältnis. Das ist mir sehr wichtig. Da sind alle Stimmungen drin, die ich persönlich erlebt habe. Im Zusammenhang mit Beethoven ist mit Thomas Mann sehr wichtig geworden. Weil es über Dr. Faustus und Adorno zwischen der 32. Sonate und Thomas Mann ein enges Werk gibt. Das hat vor Jahren zu dem persönlichen Ehrgeiz geführt, jede Zeile von Thomas Mann zu lesen. Das ist eine totale getriebene Leidenschaft gewesen. Ich habe sie alle gelesen. Das ist ein ganz intimes Verhältnis.“

 

„Mein Bruder hat Physik studiert, sein Studium hat mich inhaltlich sehr interessiert. Das hat zu einer langen Auseinandersetzung mit Relativität und Quanten geführt. An der Stelle bin ich zu so einer Art Homo Faber geworden. Nicht in dem Sinne, dass alles erwartbar ist, sondern auch in dem Sinne, Unschärferelation und Quanten, die plötzlich an zwei Stellen gleichzeitig sind. Also auch ein Verständnis dafür, dass Dinge nicht streng nach Vorschrift kaufen. Diese Leidenschaft, genau hinzugucken und es genau verstehen zu wollen.“ Er erzählt von einer aktuellen documenta-Installation eines Luftstromes, aus der ersten Etage des Fridericianums. „Bin kein Nerd geworden, dem diese sinnliche Komponente abgeht.“

 

Die Liebling-Sonate? Ich springe zurück. „Die 32, aber im Augenblick spiele ich 17. Die Kaiser-Sonate, zweiter Satz.“ Laut oder Kopfhörer? „Laut. Der Ton ist ein völlig anderer.“

 

„Ansonsten fühle ich mich einsam ohne Familie. Ich könnte nie pendeln. Wir haben drei Kinder, zwei Jungs, ein Mädchen. Das macht glücklich.“ Mehr Informationen gibt es nicht. Christoph Keese will die Familie schützen. Jetzt werden wir noch einmal ernst und netz-zentriert. „Bei der re:publica hat die Art und Weise, wie der Vertreter von Anonymous Gewalt gegen Sachen gerechtfertigt ha – da ist es mir kalt über den Rücken gelaufen. Es gibt keine Rechtfertigung von Gewalt. Das Gewaltmonopol liegt beim Staat. Ich habe mich da sehr erschrocken.“ Nachdenkliche Stille.

 

Ich frage uns: „Wo sind wir denn hingekommen?“ Keese berichtet von einer Gesprächsrunde mit Henry Kissinger und dem Piraten Bernd Schlömer im Hause Springer und Schlömers Tweet tags darauf: „Danke für die konkreten Gewaltandrohungen gegen meine Person, die ich heute Nacht erhalten habe!“ „Einige Leute fanden, dass man mit Kissinger nicht an einem Tisch sitzen darf. Und nicht reden darf. Was ist dann die Reaktion, wenn man sagt, ich finde Morddrohungen nicht gut? Dann heißt es – die meinen das doch nicht so. Doch so haben viele Bewegungen begonnen. Deshalb: Wehret den Anfängen. Wenn man sich exponiert mit unpopulären Meinungen im Netz, muss man sich ein bisschen vorsehen.“ Daher auch kein Treffen daheim. Was haben wir trotzdem über Christoph Keese erfahren? Vor allem seine kulturelle Flanke hat er gezeigt.

 

Wir verabreden, dass ich noch ein paar Fragen schriftlich nachreichen kann (weiter lesen – lohnt!)

Lieblingsformate Kultur in Berlin – Museum, Theater, Oper, Kino? Welche sind die Lieblinge und warum?

Eigen+Art

Contemporary Fine Arts

Sprüth Magers

Klostenfelde

NeugerRiemenschneider

Esther Schipper

Galeriehaus Lindenstraße

Villa Schönigen – bester Skulpturengarten

Villa Grisebach – wundervolle Auktionen

Boros Bunker – beste Kombination aus Architektur und Kunst

KW – immer wieder überraschend

Nationalgalerie – beste Sonderausstellungen

Delphi Kino – bestes Programmkino

Deutsche Oper – für den Ring

Deutsches Theater – bestes Schauspiel

Bücherbogen Savignyplatz – beste Auswahl Kunst und Architektur

Buchhandlung im Literaturhaus Fasanenstraße – bestes Sortiment

Shakespeare & Company Ludwigkirchplatz – beste Essays, nur begehrenswerte Bücher

 

Der Ton im Netz ist rau. Fühlen Sie sich manchmal persönlich angegriffen?

Ja

 

Gibt es Menschen, die Sie gern portraitiert haben möchten?

Ja: Markus Beckedahl. Mario Sixtus. Peter Tauber.

 

Termin des Gesprächs: 18. Juni (ein echt und ernst gemeintes Sorry : ich komme aufgrund von Urlaub OHNE Laptop und meiner Existenzgründung erst jetzt wieder in etwas ruhigeres Fahrwasser für dieses zeitintensive Hobby hier)

Fotos: Kathrin Koehler

Anmerkung: Die Fotos sind eine Woche nach dem Gesprächstermin entstanden – an dem Abend war keine Zeit.

Portraitzentrale, letzthin:

PAUL FRITZE / @paulfritze

HEIKO HEBIG / @heiko

JAN-UWE FITZ / @vergraemer

DON DAHLMANN / @dondahlmann