James and Zoë – überlin: „Berlin has slightly ruined us for other cities“

Zoë und James beeindrucken mich schon vor unserem persönlichen Kennenlernen mit dem animated .gif-Avatar ihres Twitteraccounts @uberlinblog, bei dem Logo und Portraits der beiden in einer Slideshow durchwechseln. Tricky. Diese kleine Finesse, ein technisches Augenzwinkern, passt sehr gut zu dem britischen Paar. Ihr Leben hier in Berlin dreht sich seit ihrer Ankunft Ende 2010 um die Kreation des sehr lesenswerten überberlin Blogs. Selten schrill, sondern eher auf leisen Sohlen. Sehr unterhaltsam, vor allem wenn beide persönlich darin auftreten.

Sie empfangen mich an einem lauen Frühlingsabend in ihrem perfekt aufgeräumten Loft – angekündigt per Tweet. Große Augen starren mich an, als ich einleite: „Warum sprechen wir nicht Deutsch? Ihr seid doch schon so lange hier.“ „Ooooh no”, wehren beide ab. James lächelt Zoë an: „We have lots of excuses.“ Zoë blickt lächelnd zurück und erklärt: „The main thing is: we work at home.“ Und wieder James: „And it’s the expat thing as well.“ Ein bisschen peinlich sei es ihm schon, manchmal Sechsjährige auf der Straße bitten zu müssen, Englisch zu sprechen. An den Feinheiten der deutschen Sprache laborieren sie öffentlich unter den Hashtag #dailydeutsch. Sehr amüsant. „We love the language“, sagen beide. James plant einen Intensivkurs. Danach dürfte die Lektüre dieses Portraits kein Problem mehr sein. Wir einigen und auf den Sprachsplit: sie bleiben hier im Englischen und ich im Deutschen. Good Luck, everybody!

Deutsch wird Ihnen jetzt verstärkt auf den Straßen im Graefe-Kiez abgefordert; hier treffen sie seit neustem beim Gassi-Gehen auf gesprächige Einheimische – Hundebesitzer unter sich. Das neue Familienmitglied Olive, zehn Wochen alt, eine French Bulldog, empfängt mich fröhlich-tapsig, während die beiden Kater Otis und Iggy, beide fünf Jahre alt, abwartend im Hintergrund bleiben. Blog-Leser kennen die Tiere: Natürlich wurde Olive gebührend begrüßt, sie hat sogar einen eigenen tumblr. Während wir in das Gespräch einsteigen, kläfft sie noch fordernd in ihrem Laufgatter, schlummert jedoch bald selig.

Mit einem verdammt süffigen Sauvignon Blanc aus Chile im Glas bewundere ich die aus Backsteinen gemauerte Längswand des Lofts – große Mac-Bildschirme markieren den Arbeitsbereich. Ich attestiere den beiden Start-Up-Atmosphäre im eigenen Heim. Zoë blickt sich um und erinnert sich gruselnd: „In London, my office was a bedroom with a desk in the corner. We still can’t believe how lucky we are just to be here.“ Die Harmonie zwischen den beiden ist deutlich spürbar, sie muss wohl auch sein, wenn ein Paar 24/7 Stuhl an Stuhl, Rücken an Rücken arbeitet. Familienzugang Olive soll nun für Ablenkung sorgen, wenn der eine während der Arbeit Zerstreuung sucht, und der andere gerade hoch konzentriert ist – das benennen sie als einzige Schwierigkeit in ihrem Home-Office. In diesem Fall geht jetzt Olive Gassi. „A good distraction to have“, sagt James.

Zoë und James Ankunft in Berlin Im November 2010 ist nachlesbar im ersten Blog-Eintrag „Up in the air„. Fünf, sechs Mal waren sie vorher da, immer im Winter, zum Beispiel zur Modemesse Bread & Butter. James: „We fell in love with the place.“ Und das bei -13°C. Bis die Entscheidung dann wirklich fiel, vergingen fünf Jahre in London. Bis sie sich sagten, so James, „let’s try another city.“ Und dann ging’s flott: „When we decided to come, it took us two month of dedicated planning.“

Zum Glück funktionieren die Jobs auch von Berlin aus. Zoë blickt noch einmal zurück: „We were sick of London at that point“. Und James ergänzt: „It’s a great city, but a hard place to live. Too many people, too expensive, transport is a nightmare. Berlin“, und hier kommt die nächste von vielen weiteren Liebeserklärungen, „is the total opposite“. Neulich, während der London Riots, sahen sie ihr altes Appartment im Fernsehen. Wie sich das anfühlte? „We were glad to be away“, sagt Zoë. „We made the right choice for sure.“ Und James führt noch einen weiteren Aspekt an, das Glück der frühen Ankunft: „Lucky as well not just London compared to Berlin, we are also lucky concerning Berlin 2010 compared to Berlin 2012. We have friends looking for flats now, and it’s hard to find anything decent or anything at all.“

Jetzt blicken sie also mit ihrem London-Background auf das hippe Berlin. Und dass die Londoner Freunde neidisch auf sie sind, glaube ich ihnen nun gern. Ich erzähle, dass ich während der Vorbereitung auf das Gespräch einen Electro-Track im Blog gestartet habe und dazu kreuz und quer geklickt habe – und es kam mir vor wie eine „documentary of cutting edge Berlin“. Zoë freut sich: „Lovely“, und ihr „o“ klingt wie in „Sonne“. Beide kommen aus Newcastle upon Tyne in der Nähe zu Schottland, haben sich dort vor zehn Jahren während des Studiums über einen „friend of a friend“ kennen gelernt. Seit vier Jahren sind sie Mr. und Mrs. Glazebrook, die Feier des vierten Hochzeitstages wird natürlich per Blogpost dokumentiert.

Vom Bloggen kann das innige Paar (noch) nicht leben. Der 33jährige ist Social Media Analyst und schreibt seine Rechnungen vor allem für das Monitoring für Firmen und Agenturen in den Branchen Automobil, FMCG und Medien. Zoë arbeitet als freiberufliche Web-Designerin. Ihr Herz schlägt für die Fotografie, hier bekommt sie bereits erste Aufträge, das will sie ausbauen. Fotografie ist ihr großes Hobby sagt sie, während er der „music guy“ ist, Electronic soll’s schon sein. Oder Heavy Metal. Gern auch immer wieder im Blog integriert per Soundcloud.

Mit der Entscheidung für den Graefe-Kiez haben sie Gespür für den Zeitgeist bewiesen. In diesem Zusammenhang lasse ich das Wort „Hipster“ fallen. Hier springt James an: „This is a cool place in Berlin. We’re kind of one foot in the hipster crowd and one foot out. That’s weird: They like all the same things like we do and look like us.“ Hier fällt ihm Zoë entschieden ins Wort: „We’re not like that. We’re not going to the cool parties just to be there. We’re down-to-earth-people. If someone reads our blog that’s amazing.“ Ich nehme ihr diese Selbsteinschätzung ab – hier ist nichts auf hip gebürstet, ihr Lifestyle wirkt authentisch und nicht aufgesetzt. Ein paar Tage später lese ich einen Tweet von James, der perfekt zu diesem Thema passt:

Sie dokumentieren ihr Leben in Berlin mit viel Feingefühl. James formuliert die besondere Perspektive ihres Blogs: „Live as an expat in Berlin.“ Beide empfinden die Expat-Community in Berlin als sehr angenehmen, hier fühlen sie sich aufgehoben. Doch es gibt es großes Aber. „The danger side is that you never fully integrate into Berlin. We’re aware of that. We don’t just want to only know expat people and isolate ourselves“, sagt James. „Here we start and meet new people, that’s nice. In London, we were more cut off, here we are more open“, sagt Zoë.

Der Anspruch für das Bloggen fällt eher nebenbei: „We want good content und good photographs.“ Gekauft. „Amazing“ finden sie auch, bereits manchmal auf der Straße erkannt zu werden („we’re shocked“) als die Überlinblogger. Meinen Celebrity-Vergleich wiegelt Zoë jedoch schnell und sehr sympathisch ab: „The puppy is our new celebrity.“ Und hier fällt ein einfacher, aber doch zentraler Satz: „We do something that we enjoy doing.“ Ein selbst bestimmtes Leben – von vielen angestrebt, hier umgesetzt. Und James führt auch dies auf die Möglichkeiten in Berlin im Vergleich zu London zurück: „There’s more creativity there, but there is less time to develop. We always wanted to blog but we never really had the time to do it properly.“ Und Zoë: „It feels more genuine here, people feel more genuine here. London is more competitive. Here it’s all about passion.“

Als ich nach dem Geschäftsmodell des Blogs frage, holt James etwas weiter aus: „When we started, it was more of a diary for friends and family. Reflexions.“ Sie haben keine moralischen Probleme mit der Monetarisierung, doch James formuliert den eigenen Weg knapp mit: „We keep it clean“. Sie wollen das Blog langsam entwickeln, denken statt an Adwords an Merchandising oder Workshops. Und Zoë sagt: „And all the kind of airy-fairy-asky-things, we’re not into that at all.“ Hach.

James hat sogar beim Bloggen in Berlin bessere Erfahrungen gemacht. „We know a lot of Berlin bloggers and everyone is really open und posting each others stuff and share things. Dass Berlin deutlich ärmer ist und auch viele Menschen hier am Rande des Existenzminimums leben, blenden sie nicht aus. Im Gegenteil, James weiß, dass „Berlin is the only capital region in Europe that is poorer than the average.“ Manchmal, sagt James, fühlt er auch in bisschen Schuld. „Why?“ fragt sie. „We pay even Hundesteuer here, all the taxes and health insurance.“ Über deren Höhe können die britischen Freunde nur entgeistert die Augen rollen.

Ein Satz in ihrem „About“ ließ mich bei der Vorbereitung aufhorchen. „This blog documents our new life in a new city, and hopefully lots of new fun – our Berlin Years.“ Klingt so, als sei ein Ende inkludiert? Auf nach Stockholm oder in eine andere Metropole? „Stockholm is so expensive“, holt Zoë aus. „Anywhere we go we compare it to Berlin. Berlin has slightly ruined us for other cities.“ Eines ist beiden derzeit klar: „We don’t wanna go back to the UK“. James sagt: „Next may be a beach.“ Zoë widerspricht nicht. Sie träumt sich weg. „That would be nice, yeah.“ Doch James ist gleich wieder bei ihrem zentralen Punkt: „But…don’t know what to do than we with the blog.“ Hoffentlich, denke ich, bleiben sie noch lange hier.

 

Zoe und James wollen mehr lesen über:

Gespräch: 30. April 2012

alle Fotos: Kathrin Koehler

 

Portraitzentrale, letzthin:

PAUL FRITZE / @paulfritze

HEIKO HEBIG / @heiko

JAN-UWE FITZ / @vergraemer

DON DAHLMANN / @dondahlmann

Großes Tennis: Die Portraits von Zoe und James:

 

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