Jan-Uwe Fitz: „Es ist auch ein Kampf, dieses Twitter-Ding“

Die Verabredung mit Jan-Uwe Fitz zu treffen ist schwierig. Portrait – schöne Idee, aber eine Homestory? Nicht so gern. Vielleicht an die Orte der Lesungen, ins Berliner 4010 oder St. Oberholz?  Lieber doch nicht – da sitzt die digitale Bohème, der er sich nicht zugehörig fühlt. Am liebsten im Speisewagen der Bahn. Oder gleich in der zweiten Heimat Limburg. Zu aufwendig? Verständlich. Während die Vorbereitung des Treffens einen hohen Komplexitätsgrad erreicht, ist das Gespräch mit dem Erschaffer des @Vergraemer absolut unkompliziert und sehr auf den Punkt. Der letzte Plan, sich in der DB Lounge am Berliner Hauptbahnhof zu begegnen, kippt aufgrund der vergessenen Bahncard des Autors. Wir sitzen im McCafé.

Keine Trennschärfe zwischen Jan und @Vergraemer

Wir klären die Rollenverteilung zwischen Jan-Uwe und dem @Vergraemer. Irgendwie sitzen beide am Tisch. „Nein, nein, das Gespräch führe schon ich“, sagt Jan. „Immer wenn’s unangenehm wird, versuche ich den @Vergraemer nach vorn zu schieben. Auch bei Lesungen lasse ich das manchmal offen, spreche mal vom Ich-Erzähler und mal von mir selbst.“ Wir plaudern über Entschuldigen Sie meine Störung. Schräg lächelt uns der Avatar vom Buchcover auf dem Tisch entgegen. Die Figur hat Anke Fitz aus einer H&M-Socke gebastelt. So also sind Legenden gestrickt.

Der Don Quijote der Tauben

Die Historie des @Vergraemers geht auf den Taubenvergrämer zurück, den Jan Mitte der 2000er Jahre per Blog ins Netz gebiert. Diese Figur will Tauben vergrämen in einem Dorf, in dem es keine Tauben gibt. „So eine Art Don Quijote“, gibt Jan die Analogie vor. „Man weiß immer nicht so recht, was ist Realität und was ist der Fantasie geschuldet.“ Und dann kam Twitter, 2008. „Eine Bekannte hat mich gefragt, warum ich nicht bei Twitter bin. Aber ich wollte nicht mit meiner wahren Identität an die Öffentlichkeit gehen, daher habe ich den @Vergraemer eingeführt.“

Hart: Ein Stern bei Amazon

Jan-Uwe ist Außenseiter, bewusst und gewollt. Das war er wohl auch in den siebeneinhalb Wochen bei seinem stationären Aufenthalt aufgrund von Depressionen. „Das Buch ist eine Verarsche dieses Aufenthaltes. Die Figur macht keine Entwicklung durch.“ Hart trifft es ihn, in den Amazon-Kritiken dafür nur einen Stern zu erhalten. „Depressive können mit der humorigen Ebene nicht umgehen, deshalb gibt es viele Leute, die mich übel beschimpfen.“ Sowieso eine Unsitte im Netz, erläutert er. Und wenn man die Menschen dann trifft, „Auge in Auge – kommt da nichts.“ Der Umgangston ist ihm oftmals zu hart, vor allem bei Tweets zu Unterhaltungsshows wie DSDS. „Da fehlt oft der Resprekt vor dem Menschen.“

Twitter als Notizbuch für Gedanken

Jan-Uwe Fitz ist ein introvertierter Mensch. Und viel mehr noch: Er leidet an einer sozialen Phobie, er entwickelt Ängste beim Zusammentreffen mit fremden Menschen. Die Störung hat er nicht nur in seinem Buch nicht aufgearbeitet, sie hat auch dazu geführt, dass das Twitter-Account erst einmal drei Mal an- und wieder abgemeldet wurde. „Weil mich das sehr gestresst hat, dieses im Fokus stehen. Das ist schwer für mich.“ Dann obsiegt die Lust und Freude daran, sich mitzuteilen. „Ich habe statt in ein Notizbuch meine Gedanken hinein geschrieben.“ Und die haben oftmals Potenzial: „Die Wanderbaustelle im ersten Kapitel des Buches war ein Tweet. Auf Twitter habe ich Sätze getestet.“

Kontrolle ist das A und O

Doch wie geht das zusammen, dass sich einer, der sich unter Menschen sehr unwohl fühlt und Ängste empfindet, zu Lesungen und Interviews aufbricht, sich selbst vermarktet und dabei doch ständig auf Fremde trifft? „An exponierter Stelle, wenn ich Kontrolle über die Situation habe und in eine Rolle schlüpfe, dann ist alles in Ordnung. Bei Lesungen, wenn ich allein auf der Bühne bin, fühle ich mich total wohl“. Er erinnert sich immer noch mit Freunden an einen Auftritt bei Astro-TV, bei dem er die Moderatorin, sagen wir mal, auflaufen lässt. „Wenn die Kamera angeht, werde ich zu einer anderen Person.“ Rückblickend lässt sich das wohl auch für unser Gespräch festhalten. Das Unwohlsein kann ich eingangs physisch spüren, doch Jan funktioniert, er gibt den Interviewten, findet sich nach einem Viertelstündchen perfekt in die Situation hinein und taut an.

Zu viel menschliche Umgebung

Er erzählt von seiner Kindheit, dem frühen Verlust der Eltern. Als er sechs Jahre alt ist, stirbt der Vater, zwei Jahre darauf die Mutter. „Ich habe viel Glück gehabt mit meinen Pflegeeltern, aber Du musst Dich an eine fremde Familie anpassen.“ Gezwungenermaßen kommt er herum, zieht in den ersten zehn Jahren seines Lebens fünf Mal um. Schließlich zieht die Familie in den Jugendjahren nach Limburg. Dort hat er noch heute eine Wohnung im Haus der Pflegeeltern. „Ich fahre da alle sechs bis acht Wochen hin, länger halte ich es am Stück in Berlin nicht aus. Dann merke ich, dass ich innerlich nervös werde aufgrund dieser menschlichem Umgebung; dass ich einfach mal wieder raus muss.“

Ein Kampf, dieses Twitter-Ding

Im Westerwald geht es in die Natur, auf zu langen Spaziergängen. Mal mit, mal ohne Smartphone. Die ständige Erreichbarkeit ist dabei gar nicht das Thema. „Mich stresst eher die ständige Möglichkeit zu kommunizieren. Twitter ist eine Bühne. Aber es ist auch ein Kampf, dieses Twitter-Ding. Sich einfach mal ungestört bewegen ohne gleich zu denken, dass musst Du der Welt mitteilen.“ JUF, wie er sich selbst abkürzt, sendet bei Twitter fast ausschließlich, liest sehr selten den eignen Stream und versucht, den @-Replies gerecht zu werden. „Die Leute empfinden es als arrogant, wenn ich nicht antworte.“

Bewunderung für Sascha Lobo

„Meine Panik ist, dass ich im Internet jemanden aufbaue und dass ich das in der Realität nicht einlösen kann“, sagt Jan. „Ich bewundere Typen wie Sascha Lobo, die überhaupt kein Problem damit haben, sich selbst zu verkaufen. Er ist ein begnadeter Selbstdarsteller, ich bewundere seine Schmerzfreiheit.“ Für Jan ist „Twitter Therapie. Eine gute Möglichkeit, Stück für Stück an die Öffentlichkeit zu gehen.“

„Nicht jeder in der digitalen Bohème ist ein Arschloch“

Ich spreche nochmals an, dass er nicht ins St. Oberholz gehen mochte, um nicht zu dem Zirkel der Besucher gezählt zu werden. Er relativiert: „Nicht jeder in der digitalen Bohème ist ein Arschloch. Man neigt ja dazu zu sagen: ‚die, die, die…‘. Aber ich möchte einfach zu keiner Gruppe gehören, dann mache ich sofort zu.“ Wir plaudern über bekannte Köpfe aus der Szene, die sich auch bei seinen Lesungen blicken lassen. „@Bosch zum Beispiel schreibt sehr gut, er hat seinen eigenen Stil. Würde mich freuen, wenn er ein Buch veröffentlicht.“ Auch @mspro empfindet er als angenehmen Zeitgenossen, „@bosch und @mspro, die machen viel. Die machen nicht nur Kult um sich, da ist auch richtig was dahinter.“

Ungenutzte Vermarktungschancen

Mit dem Erfolg bei Twitter kommt auch die Aufmerksamkeit des Verlages, folgt das Buch. Jan will nicht das Nest beschmutzen, es wundert ihn aber schon, dass der Verlag seine 40.000 Follower bei der Vermarktung ungenutzt lässt. Egal: die Pläne für die Zukunft sind breit gestreut. @Vergraemer-TV als Web-Format ist ein Thema, genauso wie ein neues Buch – dieses Mal tatsächlich über den Taubenvergrämer. Mit einem „Showdown auf dem Markusplatz in Venedig, wo auch der Taubenvergrämer mal so richtig erfolgreich sein kann. Das führt dazu, dass ich mich jetzt gerade so richtig in die Vergangenheit hineindenken muss.“

Häppchen-Literatur für die Nicht-Leser

Jan-Uwe charakterisiert sich selbst als „Autor, der auf Twitter bekannter ist als im wahren Leben.“ Autor 2.0: „Das Internet hat große Möglichkeiten für Autoren wie mich geschaffen. Du kannst Dich selbst vermarkten. In die Öffentlichkeit gehen für die PR – ok. Doch das Schreiben liegt mir mehr.“ Er verfolgt die Autorenvermarktung im Netz sehr aufmerksam, berichtet begeistert vom digitalen Lesezirkel von @UARRR, wähnt aber auch die Nutzer dieses Blogs weit von seinen Lesern entfernt. „Meine Zielgruppe sind die Nicht-Leser. Ich biete die sogenannte Häppchen-Literatur, mit der man ganz andere Leserkreise erreicht.“ Mit Erfolg: sein Debut ist in die zweite Auflage gegangen, die erste hatte 9.000 Exemplare. Hinzu kommen „ziemlich viele eBooks aufgrund meines Twitter-Status’“.

„Logik der BWLer ist mir fremd“

In der Literatur fühlt er sich sichtbar wohl. Die Augen leuchten auf, wenn es um die Lesungen, deren Gäste und die Organisation geht. Für den Lebensunterhalt reicht es noch nicht ganz. Jan arbeitet parallel als freier Texter. In der Werbebranche hat er viele Agenturen kennen gelernt, hat bei DDB, Jung van Matt, Springer & Jacoby gearbeitet. „Doch dieses ‚in Meetings sitzen’ und die BWLer sind mir fremd“, sagt er. „Das hat ganz viel mit Geschmack zu tun und dann wird versucht, dass logisch zu beschreiben. Die Logik der BWLer ist für mich nicht nachvollziehbar gewesen. Wenn Sie gesagt hätten ‚Die Idee ist scheiße’, dann hätte ich das verstanden. Oft wurde dann eine geschmackliche Frage dadurch getarnt, dass etwas nicht zur Marke passt.“

Lebenlauf „vollkommen hanebüchen“

Er hält nie lange durch – die Menschen. „Ich hab mich nie wohl gefühlt. Und wenn ich dann was Neues hatte, war es irgendwie einfacher für mich“. Der menschliche Umgang war auch das Problem zuvor beim Jura- und Geschichtsstudium. „Das habe ich nicht beendet. Ich hatte gar keine Chance mit meiner Störung. Heute, 20 Jahre später, wäre es viel einfacher, das Studium durch zu ziehen.“ Er resümiert: „Rückblickend ist es vollkommen hanebüchen. Eine Lebensgeschichte, die sagt: ,Der hat nie irgend etwas durchgezogen.’“ Klappt aber auch, denke ich nachträglich bei der Niederschrift.

Antisozial ist ungleich asozial

Fitz vermittelt junge Autoren an seine Agentin weiter, spricht Empfehlungen aus. „Ein schönes Gefühl.“ Antisozial zu sein heißt eben nicht, asozial zu sein. Und was reizt die Menschen am @Vergraemer? „Er spricht Dinge aus, die die Leute oft nicht aussprechen. Es ist weniger, dass die Leute sich daran erfreuen, dass es mir schlecht geht. Zum Beispiel Unsicherheit – kennt jeder. Die meisten versuchen das nicht zu zeigen. Der @Vergraemer gibt es einfach zu. Da fühlen sich die Leute abgeholt.“

Zum Schluss sprechen wir über seinen Traum: Vom Schreiben leben, raus aus der Öffentlichkeit. Beim Ersten bin ich sicher. Beim zweiten auch. Nicht.

Diese Menschen möchte Jan-Uwe Fitz näher kennen lernen:

–       @hilliknixibix

–       @adamsalexander

–       @uarrr

Termin des Gesprächs: 17. Februar 2012

alle Fotos: Kathrin Koehler

 

Diese Portraits sind bereits erschienen:

ROMY MLINZK / @snoopsmaus

PAUL FRITZE / @paulfritze

HEIKO HEBIG / @heiko

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