Romy, tapfer am frühen Samstag morgen

Romy Mlinzk in: Romys rote Wand

„Grundgelassen. Ernsthaft. Analytikerin“, sind die ersten Eindrücke, die mir nach einer Stunde Interview mit Romy Mlinzk durch den Kopf schwirren. Ich stehe im tristen grauen Hamburger Samstagmorgen-Regen vor ihrer Haustür, warte auf mein Taxi und bin beeindruckt, wie differenziert und reflektiert Romy mit ihren 29 30 Jahren ist (Mathe!). Eigentlich waren wir am Vorabend verabredet. Doch da scheine ich nicht in ihre Anforderungen von Überstunden, After-Work-Drink und „The Voice“ zu passen, wie mir @snoopsmaus noch im Laufe des Abends verrät. In der Nacht nimmt sie per DM meinen Alternativvorschlag von 9 Uhr am nächsten Morgen tapfer entgegen und ist ganz da. Sehr sympathisch: Sie erwähnt nicht, dass sie überzeugte Langschläferin ist. Das soll mir erst am Ende des Besuchs klar werden.

„Ich habe einen Gast, hier können wir nicht rein“, dirigiert mich Romy im gemütlichen Snoopy-Hoodie aus dem Flur in die Küche. Ich bin kurz enttäuscht, denn ich sehe meine Chancen auf Romys rote Wand im Wohnzimmer schwinden. Die wollte ich unbedingt sehen, denn schließlich ist ein Tweet zu dieser Wand ein Saatkorn zu meinem Blogprojekt. @snoopsmaus feierte den Abschluss einer Renovierung mit einem Foto-Posting und ich dachte: es könnte doch spannend sein, die Menschen meiner Timeline persönlich zu treffen und sie in ihrer privaten Welt zu besuchen. Gut, also keine rote Wand. Dafür meine Franzbrötchen-Mitbringsel und ein wirklich leckerer Kaffee aus Tansania von sonntagmorgen.com.

 

Romy und die Musik

Wir hören Götz Alsmann über Wifi-Streaming. Romy erläutert mir die Unterschiede zwischen Simfy und Spotify und ich denke, dass sie eine kluge Vermittlerin von technischen Sachverhalten ist – das beweist sie auch immer wieder in ihrem posterous-Blog. Schade, dass sie zu viel Respekt vor größerem Publikum hat. „Schlichte Angst“, sagt sie und ich wünsche ihr, dass Erfahrung und weitere Reife diesen Knoten auflösen, denn hier schlummert ein großes Talent. Romy arbeitet daran, dieses Jahr unter anderem per aktiver Teilnahme an acht Barcamps.

 

Romy ist Musiknarr. Das liest sich nicht nur aus jedem zweiten Posting, das hat sie auch stark geprägt auf dem Weg zur Community Managerin bei der Hamburger Agentur achtung!. Aus der Fanposition heraus hat sie vor Jahren den myspace-Account von Roger Cicero freiberuflich betreut und dabei ihr Handwerk gelernt. Im Rückblick sagt sie: „Man muss den meisten Künstlern sagen: Ihr solltet hier nicht die Fotos Eurer Kinder posten. Es gibt einen Unterschied zwischen persönlich und privat.“ Richtig gut, findet sie, kann man den Job nur unter einer Bedingung machen: „Man muss Zugang zum Künstler haben, um kleine persönliche Noten setzen zu können.“ Ihr Fazit über die Branche: „Es gibt viele Menschen in der Musikbusiness, die die Netzwerke unterschätzen.“

 

Romy privat – und die Grenzen

Was Romy den Künstlern empfiehlt, gilt auch für sie selbst. Keine Bilder aus der Wohnung, wenn überhaupt kleine Ausschnitte. „Mein zu Hause ist bei Foursquare angelegt, aber nur bestimmten Leuten frei gegeben. Ich pushe ganz wenig nach draußen. Ich nutze Foursquare zur eigenen Absicherung. Ich wohne in der Großstadt, ich bin Single, ich bin ´ne Frau, ich checke in der letzten S-Bahn ein und aus. Wenn mir irgend etwas auf dem Weg passiert, kann man nachvollziehen, wo ich zuletzt war.“ Hier offenbart sie eine offene Flanke – für einen Notfall sind ihre Passwörter bislang nicht hinterlegt. Ihre theoretische Lösung ist ein Bankschließfach für Dokumente und Passwörter. „Ich bin da gerade in der Sortierungsphase.“

 

Wer @snoopsmaus länger folgt, erinnert sich an ein R.I.P. in ihrer Twitter-Bio und bemerkt immer mal wieder traurige Posts. Als ich meine Frage lange einleite, merke ich, wie sie sich sammelt und noch einmal schluckt. Sie erzählt kontrolliert, dass sie eine große Liebe durch einen tragischen Kohlenmonoxid-Unfall mit einem Holzkohlen-Grill verloren hat. „Das hat mich komplett … durchgeschleudert“, sucht sie nach Worten. „Am Anfang habe ich mein Twitter-Account zwei Monate auf privat gestellt.“ Sie war für sich. Und dann? „Ich habe mich nicht dafür geschämt, öffentlich zu sein“, blickt sie auf die Trauerphasen zurück. „Einigen war das dann auch zuviel.“ Wenn sie die Trauer heute anklingen lässt, kommen immer noch unterstützende DM von den engeren Freunden.

 

„Ich langweile mich bei Facebook“

„Twitter ist mein Kanal, um mich kurz zu fassen und zu sagen, wie es mir geht. Aber ich twittere schon lange nicht mehr allen Kram“, so @snoopsmaus über ihren persönlichen Twitter-Modus. Dies aber mit einem großen Aber: Berufliches wird nicht eins zu eins publiziert, Ärger während des Jobs bleibt außen vor. „Das kann ja auch auf mich zurück fallen. Ich habe gelernt, mich zurück zu nehmen.“ Twitter sei immer vorneweg. „Ich langweile mich mittlerweile bei Facebook“. Romy freut sich zwar über alte Freunde, die aus den VZ-Netzwerken hinzu kommen. Doch sie beobachtet auch, dass sich auf Facebook vieles wiederholt, das @snoopsmaus schon Stunden zuvor gelesen hat.

 

Die Analogen haben das Nachsehen

Romy hat Freunde, die nicht in den sozialen Medien aktiv sind. Zuweilen merkt sie, dass diese nicht auf dem neusten Stand ihrer Entwicklungen sind. „Ich gehe mittlerweile dazu über, diesen Spruch zu bringen: ,Wenn Du Genaueres über mein Leben wissen willst, guck’ Dir meine Twitter-Seite an.’“

 

Zuletzt war Romy bewegt von @claudines „Wohnungslos“-Posting. Wir teilen die Erfahrung der Lektüre an einem Montagmorgen, sie in der S-Bahn, ich noch in den Federn: „Ich habe den Artikel komplett auf dem iPhone gelesen, es war fesselnd. Ich konnte genau an einer Stelle nachvollziehen, wie sie sich fühlt. Nach dem Studium hatte ich auch einmal nicht die Kraft, Rechnungen noch zu öffnen. Ich habe gespendet, obwohl ich sie nicht kannte. Bei so etwas merkt man, dass es eine menschliche Substanz im Netz gibt.“

 

Gibt es eigentlich ein Netzwerk, in dem Romy nicht aktiv ist? „Hmmm…Bibo nicht. Achja: Und Google Latitude – not with me. Wenn die ganze Zeit das GPS an ist, das ist mir dann doch zu scary, so minutiös getrackt zu werden.“ Und dann kommt die gebürtige Leipzigerin mit einer Erkenntnis, die ich schon häufiger kontrovers mit Ostdeutschen diskutiert habe: „Wenn die Stasi vor 30 Jahren Google gehabt hätte, dann würde die DDR noch leben.“

 

Wir stehen schon zur Verabschiedung in der Tür und ich sage kurz dahin, dass ich es schade finde, wegen des Hausgastes nicht ihr Wohnzimmer mit der roten Wand gesehen zu haben. Romy schaut mich überrascht an. „Aber wieso, ist doch kein Problem, die ist doch im Schlafzimmer. Komm.“ Und flugs dringe ich in Romys echte Privatsphäre vor und bewundere die in natura pflaumenfarbene Wand samt Tattoo. „Der frühe Vogel kann mich mal“, steht da. Und ich bin froh, dass Romy für uns an diesem Samstag eine Ausnahme gemacht hat. Danke schön!

 

Auf einer einsamen Insel gäbe es für Romy nur: tour-blog.de .
„Markus Sorger ist Stage Manager und hat einfach Spaß an seinem Job.“

 

Gespräch: 3.Dezember 2011

Für Freunde des Akustischen folgt hier vielleicht das Gespräch auch mal als Podcast.

Fotos: Kathrin Koehler

8 Gedanken zu „Romy Mlinzk in: Romys rote Wand

  1. Florian

    Tolles Portrait über eine liebe Kollegin von mir! Interessant zudem, liebe Menschen auch auf diesem Wege einmal näher kennenzulernen.

    Vielen Dank!

    Guten Rutsch, florian

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    1. kathrin Artikelautor

      Danke für die Blumen! Freue mich sehr, dass die Idee ankommt und bin voller Vorfreude auf 2012 und viele spannende Begegnungen. Guten Rutsch! K.

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    1. kathrin Artikelautor

      Besten Dank – das macht mir Mut für die zukünftigen Begegnungen. Da werde ich die Personen ja überhaupt nicht kennen und kann mir nur im Vorfeld bei der Recherche mein Bild machen. Doch die Transparenz heutzutage macht ja vieles sichtbar, das ist von Vorteil. Mit Romy war ich immerhin vorher mal einen Kaffee trinken.

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      1. kathrin Artikelautor

        Das stimmt. Ich trenne halt immer noch zwischen persönlichem und virtuellem Kennen. Das wird sich verwachsen…

        Und ich habe auch noch ein Video, das ich vor unserem Treffen morgens aufgenommen habe und quasi eine kleine Auftaktansprache mache. Sobald wie möglich werde ich das noch ergänzen. Ein paar Sachen fehlen noch, aber ich wollte halt raus mit dem Text. Was gut so war.

  2. Julian

    Zunächst mal muss ich sagen, dass das Portrait wirklich klasse geschrieben ist. Hat Spaß gemacht es zu lesen. Habe auf jeden Fall einiges über Romy gelernt, was ich bisher nur in kleinen Fetzen oder gar nicht mitbekommen habe. Freue mich auf jeden Fall sie bald mal wieder zu treffen, um das Bild ein klein wenig mehr zu vervollständigen. Und ich bin sehr gespannt was hier noch passiert. Tolles Projekt!!

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