@fraeulein_tessa: „Ich hätte gern eine lautere Stimme“

Teresa spricht ruhig und überlegt und bereits im Warm-Up zu diesem Portrait mit einer Offenheit, die mich überrascht. Schließlich kennen wir uns bis zu diesem Zeitpunkt nicht persönlich – den klassischen Smalltalk zum Warm-Up lässt sie aus und überrumpelt mich ein wenig. „Ich werde so themen-überdrüssig, das ist beim Feminismus genauso. Man spricht in meinen feministischen Kreisen gerade vom ‚feminist burnout’ – das ist mir bei den Digitalthemen auch passiert. Dass ich keinen Bock mehr habe und mal wirklich was anderes machen will.“ Teresa M. Bücker oder @fraeulein_tessa steht an ihrer Küchenzeile in der Kreuzberger Dachwohnung. Sie kocht Tee. Und lässt Ungeduld anklingen: „Da ist ein Frust, dass sich eh nichts richtig bewegt.“ Wir sprechen über Feminismus und über das FAZ-Blog, für welches sie schreibt.

Rückblickend also ein eher pessimistisch geprägter Einstieg in unser Gespräch. Dieses Gedämpfte überrascht mich etwas, denn die Crémant-Stimmung in Tessas Timeline hat mir bislang eher ein positives und verschmitztes Bild vermittelt. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass uns beiden an diesem Abend ein Arbeitstag in den Knochen steckt. Später wird sie sagen, dass dieses „leicht Depressive“ eine Stilisierung von Menschen ist, „die schrieben und bloggen. Das habe ich schon als Feedback bekommen. Leute, die gerade glücklich sind – das kommt ja auf Twitter nicht so gut an.“

Auf dem Esstisch und auf einem Sideboard leuchten Kerzen, Kaninchen-Dame Ruby spitzt neben dem Stall am Esstisch abwechselnd mal das linke, mal das rechte die Ohr. Gefährte Kasper chillt. Der Kusmi Kräutertee belebt. „Ich würde gerne einfach mal ein ganz anderes Thema machen“, fährt sie fort, während wir uns setzen. Was anderes als Feminismus? „Ich schreib ja gerade das Buch, ich muss mich ja mit dem Thema beschäftigen.“ Seit drei Jahren arbeitet sie daran, neben ihrem Vollzeit-Job immer wieder eine Herausforderung. Einen Vertrag hat sie, eine Lektorin ebenfalls. Und ein sich selbst überholendes Thema: „Ich streiche Texte konsequent heraus, was eigentlich ganz gut tut. Und ich kann die ja immer bloggen, das ist der einzige Trost.“ Das erste Lächeln. Die Autorenschaft ist ein ständiger Kampf, das kommt deutlich heraus. „Aber ich will es halt unbedingt schreiben.“ Zuweilen, berichtet sie, kommt der ambitionierten Autorin die beherzte Bloggerin in die Quere. Hier der O-Ton:

 

Hauptberuflich arbeitet Tessa seit Juni 2012 als Referentin für digitale Strategie und soziale Medien bei der SPD-Bundestagsfraktion. Oder, wie sie sagt: „Als Eine-Frau-Mannschaft Social Media“. Politik ist ein Zeit- und Kraftfresser. Wie schafft sie es, sich Zeit für sich zu holen? „Das ist nicht so einfach. Intellektuell bin ich nicht überfordert, gar nicht. Aber zeitlich. Der Sonderfall bei Online und Social Media ist, dass es einen begleitet und nie aufhört.“ Sie erinnert an die Hackerangriffe auf das Peer-Blog – an einem Wochenende. „Auf solche Sachen ist so eine Fraktion eigentlich noch nicht eingestellt.“

Teresa hat ein ambivalentes Verhältnis zu ihrer Arbeit im Politikbetrieb. „Mir ist es total wichtig, meinen Freundeskreis anderswo zu haben. Weil ich sonst so einen Tunnelblick bekommen würde.“ Das Arbeitspensum von Abgeordneten „möchte niemand freiwillig machen. Das ist wirklich ein Commitment.“ Ihre Lust auf die eigene Meinung macht es schwer, wenn Parteilinie gefordert ist, gerade jetzt im Wahlkampf. „Das wurmt mich schon.“ Neulich, in einem Artikel von Spiegel online, wurde sie „Politikerin“ bezeichnet. Wie fühlt ich das an? „Das bin ich nicht, ich habe kein politisches Amt.“ Sie reflektiert noch einmal den Anruf der Redakteurin von Spiegel online. „Es war halt bezeichnend: Die SPD hat halt keine Frauen in meinem Alter.“ Schmunzeln. Teresa ist gerade 29 geworden.

Beraterin. Bloggerin. Autorin. War alles nicht das Berufsziel, in der Abizeit im sauerländischen Meschede. „Mein ganzer Werdegang ist eine Verknüpfung von Zufällen.“ Nach Berlin kam sie, um Veterinärmedizin zu studieren. Heraus kam: Knicken.

„Ich hab mir alles beigebracht, zum Beispiel die html-Grundkenntnisse. Wir haben ganz viel über Musik gebloggt. Meine erste Geschichte war aber ein satirischer Beitrag über die politische Zukunft von Edmund Stoiber.“ Und – lag sie richtig? „Es war völlig abwegig, ganz satirisch. Darüber bin ich zum Schreiben gekommen. Es macht Spaß.“ Und, so sagt sie selbst, von nun an wurden die Texte „immer länger und länger und lääääänger“. Teresa lacht. „Und immer feministischer.“ Der wachsende Strom an Text führte zum Start ihres eigenen Blogs flanell apparel, Ende 2007, Anfang 2008.

Ihr Lächeln bringt mich auf die ältere Idee zurück, Soundschnipsel in den Text einzubinden und ich bitte Tessa, die Musik herunter zu drehen. Überflüssig, aber wer kann das ahnen.

„Das Blog war meine wichtigste Qualifikation. Für mich war das der Eintritt ins Berufsleben“, resümiert sie. „In fünf Jahren an der FU gab es ein Wochenendseminar zum Thema Online-Journalismus.“ Also nichts. Dann kommt Caroline Drucker und ein spannender Job beim „Freitag“, für den sie die Agentur Pleon verlässt. „Ich dachte: ‚Geil, dass ist der Job, den ich mal machen möchte.’ Und dann war ich in dem Team mit Jakob Augstein, das den Freitag vorbereitet hat. Nur wegen des Blogs“. So wird sie eine der ersten Social Media Managerinnen in Deutschland. Nach zwei Jahren Herzensprojekt – „ich mochte das Team so sehr“ – geht’s weiter zur SPD, als Beraterin in den Parteivorstand.

„Ich bin mit der Zielsetzung da eingestiegen, den Wahlkampf mitzumachen“, erinnert sie sich an die Zeit im Willy-Brand-Haus. Sie blickt zurück. Sehr präsent ist die Erinnerung an den Einstieg des Partei-Vorsitzenden Sigmar Gabriel bei Twitter:

Politiker kämpfen mit Online, Onliner kämpfen mit der Politik. Tessa fordert, die Themen Social Media und Digital Change höher anzusetzen als mit einer Referentin in der Öffentlichkeitsarbeit. „Was tatsächlich was gebracht hat, ist Aufschrei. Ich habe noch nie so viele Anrufe in den letzten Wochen bekommen von Abgeordneten und deren Mitarbeitern, gerade weiblichen Mitarbeitern, die gesagt haben: ‚Ich möchte jetzt anfangen zu twittern’. Das ist ja doch politisch relevant. Ich hab’ mich gefreut“. Twitter-Schulungen: da schlägt mein Herz gleich höher.

Wir sprechen über die Vorteile von Twitter. „Ich merke, dass ich immer einen wahnsinnigen Wissensvorsprung habe. Gerade bei Breaking News. Die kommen über den klassischen eMail-Weg so viel später an.“ Aber: „Es gibt einfach viel Angst, Fehler zu machen. Das ist das, was ich am meisten zu hören bekomme.“ Wir diskutieren den Mangel an Fehler-Kultur in Deutschland. „Das ist das, was ich immer mit erkläre. Dass Online hat eine andere Fehler-Kultur hat. Dass Learning by doing total wichtig ist. Man kann es ja schlecht trocken üben.“

Ich spreche #aufschrei an. Das 1-A-Feminismus-Thema in diesem Jahr. „Ich kenne Anne (Wizorek) jetzt nicht so gut. Ich war dabei an dem Abend, ich habe das mitbekommen und es war nicht absehbar, dass es sich so entwickeln wird. Ich glaube, die Debatte hat total geschwelt und es war wie eine Blase, in die man hinein stechen musste. Dass es da passiert ist, war, glaube ich, mehr oder weniger Zufall.“ Rainer Brüderle, denkt sie, hat mit seinem Schweigen die Kampagne angefacht. Sie blickt auf die sich anschließende Woche zurück:

Beim Thema Gleichberechtigung und Quote bricht erneut die markante Ungeduld durch. „Es gibt oft das Argumente ‚Die Zeit wird es richten’. Ich habe keinen Bock, 100 Jahre zu warten.“ Ist sie pro Quote? „Am Anfang des Bloggens war ich gegen die Quote. Das ist eine typische Haltung junger Studentinnen gegenüber der Quote. Ich stamme aus einer Generation, der erzählt worden ist, ‚Du kannst alles werden, was Du möchtest’, ihr Mädchen macht die besseren Schul- und Uniabschlüsse.“ Mit dem Einstieg ins Berufsleben sei sie immer feministischer geworden und „durchaus pro Quote“. „Aber nicht nur: Ich will eine ganz andere Arbeitskultur. Ich glaube dass es nichts bringt, dass man irgendwelche Frauen nachzieht, die der männlichen Norm möglichst nah sind.“

Nahtlos schließt sich das Thema private Arbeitsteilung an. „Würde mein Mann fest arbeiten – wir würden nichts geregelt bekommen. Gerade bin ich etwas überlastet, weil er nicht da ist.“ Pause. Grinsen. „Und für mich kocht.“ Wir sprechen über ihr Hochzeitsvideo und ich überlege, ob ich das Thema Selbstinszenierung anschneide, doch plötzlich rollt ein Gedanke heran, der raus muss. „Ich hab’ so ein Gap zwischen Deinem digitalen Auftritt und Deiner Zurückhaltung jetzt hier mir gegenüber.“

Ich lenke auf das Thema Netzfeminismus und stelle betont die etwas naive Frage, ob denn auf diesem Feld alle Freundinnen sind. „Also, es gibt ja nicht DEN Netzfeminismus. Aber ich habe alle meine feministischen Kontakte übers Netz geknüpft. Ich dachte immer, ich wäre mit diesen Ideen, die ich da hatte, völlig alleine. Ich habe darüber auch Freundinnen gefunden, was ich sehr sehr schön finde.“

„Wenn es einmal eine Bewegung gab, dann hat sie sich in jedem Fall ausdifferenziert in den letzten eineinhalb Jahren. Es gibt radikalere Flügel, eher akademischere Bloggerinnen, feministische Mütter. Von Verfeindungen würde ich nicht sprechen. Durchaus Meinungsverschiedenheiten, aber das ist ja gut.“ Wo siedelt sich Tessa an? „Ich weiß gar nicht, ob ich momentan per se als feministische Bloggerin gelte. Ich hab so wenig gebloggt im letzten Jahr. Für radikalere Feministinnen bin ich natürlich die weiße, privilegierte Frau, die keinen Hehl daraus macht, dass sie ein großes Faible für Mode und dann auch noch heterosexuell und verheiratet ist.“ Das habe hier ein paar Ressentiments eingebracht.

„Ich finde es eigentlich auch politisch richtig, nicht zu heiraten. Ich kann die Haltung verstehen, dass man als Feministin sagt, ich heirate nicht, so lange die Ehe nicht geöffnet ist. Ich trete generell für andere Formen der Partnerschaft ein, was ich ja auch immer noch tue.“ Bis heute, sagt sie, kann sie nicht ganz genau erklären, warum sie geheiratet hat. „Aus Liebe?“ frage ich. „Ja, auch…“ Verschmitztes Lachen. Die Wurzeln? Das Weltbild? Das Bild der intakten Familie, vorgelebt in den eigenen Familien? „Ja, aber eigentlich mochte ich das ja nie. Ich bin ja sehr katholisch groß geworden und aus der Kirche bin ich schon lange ausgetreten. Vielleicht haben wir es ein bisschen für unsere Eltern mit getan.“

Ich spreche Tessa auf einen Kinderwunsch-Tweet an, den ich in ihrer Timeline entdeckt habe. „Das schwankt sehr stark“, lächelt sie und erklärt den tatsächlichen Hintergrund solcher Andeutungen: „Ich würde gern unabhängig im Wahlkampf bloggen können – das steckt hinter dem Tweet.“ Das Thema Kind(er) weist sie nicht völlig von sich. „Den Kinderwunsch habe ich eigentlich erst bekommen, als Johannes gesagt hat, dass er Kinder möchte. Das fand ich ein schöneres Kompliment als dieses ‚Ich liebe Dich’, das sich so abnutzt.“ Johannes ist ihr Ehemann seit dem Herbst 2012. „Er hat ein unheimliches Händchen für Kinder. Soll er halt irgendwann mal Vater werden.“ Lakonisch kann Tessa auch. Sie lacht. „Er muss das Kind dann ja dann betreuen.“ Die Rollen sind bereits klar verteilt.

Wir kommen über Wahlperioden in der Politik, die Mutterschaft von Andrea Nahles, geradlinige Karrierewege, Frauen in der Selbständigkeit wieder auf die Autorenschaft zu sprechen, auf Verdienstmöglichkeiten, auf Querfinanzierung zum Beispiel via Vorträge. „Das merke ich: Ich bin eine Quotenfrau in dem Bereich. Ich werde oft für Panels angefragt, die am Rande das Internet oder Netzpolitik streifen. Dann weiß ich ganz genau: Sie brauchten irgendeine Frau. Ich bin dauernd auf diesen Panels, wo außer mir nur alte Männer sitzen. Die sind langweilig und anstrengend.“

Gerade hat sie eine weitere Gesprächsrunde zugesagt: ‚Gemeinsam in der Twitterfalle’. Wir kichern. Inhaltlich verspricht sie sich nicht viel: „Da werden drei Männer sitzen, die den Untergang des Abendlandes herauf beschwören. Da setze ich mich gern daneben und sage etwas anderes.“ Und Tessa sagt noch mehr über Twitter, Sex und Jumpsuits im Bundestag:

Und noch eine interessante Idee über Twitter schiebt sich nach: „Diese Ganzheitlichkeit von Twitter, die bekommen die meisten Leute nicht auf die Reihe. Mir sind die Leute, die nur professionell twittern, zu glatt.“ Über den Umstieg auf Klarnamen hat sie nachgedacht, er kommt für sie bislang jedoch nicht in Frage. „Den Namen habe ich, seitdem ich im Internet bin.“ Fräulein Tessa ist ein Spitzname, den ihr eine Freundin gegeben hat. „Teresa klingt für mich eh immer ein bisschen fremd. Das ist dieser katholische Beiklang.“ Das M. in ihrem Namen steht natürlich für Maria.

Wir sind uns einig: Sprachgefühl ist beim Twittern sehr wichtig. Sie erzählt, dass sie über Twitter spannende Menschen getroffen hat. „Und auch, wenn die digitale Persönlichkeit und die Person, wenn man sie in echt trifft, etwas auseinanderklafft – mich hat das nie getäuscht, dass da irgendwas war.“ Tessa erzählt, dass ihr Vater seit dem Hochzeitsfest ihren Twitterstream mitliest. „Weil alle ihm gesagt haben, er sollte unbedingt twittern.“ Sie grinst. „Und er hat damit einen echten Informationsvorsprung vor meiner Mutter.“ Hin uns wieder gebe ihr der Vater Feedback: „Zum Beispiel bei #aufschrei: Ihr seid alle so negativ, habt Ihr denn gar nichts Schönes in Eurem Leben?“

Wir sprechen über das Teilen an sich. „Ich glaube, es gibt eine falsche Wahrnehmung davon, was Leute teilen. Weil das Vorurteil besteht: Da teilt ja jemand sein ganzes Leben. Das stimmt ja überhaupt nicht. Das ist ja immer noch sehr gesteuert und man kriegt das meiste nicht mit. Das machen sich viele nicht bewusst.“

Tessa hält sich die Haare aus dem Gesicht und malt an ihrem Selbstportrait, wir trinken eine weitere Runde Tee. „Johannes meint immer, ich wäre online-süchtig.“ Geht mal ein ganzer Tag – ohne? „Das ist wirklich schwierig. Ich hätte gern mal drei Wochen ohne Twitter probiert, um Abstand zu bekommen. Das geht beruflich nicht, weil ich ja für die SPD twittern muss.“ Tessa malt weiter, wir betrachten die Kaninchen. Auch in ihrer Kindheit habe sie Kaninchen gehabt. „Ja“, sagt sie und schmunzelt wieder, „ich habe halt kein Pony bekommen.“

Über die wachsenden Anzahl an Anfragen zu Vorträgen und Moderationen und der Keynote letzthin hat Tessa eine bemerkenswerte Einstellung – gegen Langeweile und Unterforderung, für den Kick: „Ich mache manchmal gezielte Überforderung. Das habe ich gerade bei Frauen gemerkt, dass sie sehr oft sagen: ‚Nein, ich kann das nicht.’ Und Männer es eigentlich auch nicht können und es trotzdem machen. Wenn ich gefragt werde und ich habe für mich persönlich das Gefühl ‚Ich kann das eigentlich nicht’, dann mache ich das trotzdem.“ Sie zögert. „Und meistens wird es auch ganz gut.“ Darauf einen Crémant, @fraeulein_tessa!

 

Selbstportrait Tessa:

10 Selbstportrait Teresa Buecker portraitzentrale

 

Fotos: Kathrin Koehler

Gespräch: 20. Februar 2013

 

 

Portraitzentrale, was bislang geschah:

PAUL FRITZE / @paulfritze

HEIKO HEBIG / @heiko

CHRISTOPH KEESE / @ChristophKeese

 

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