Paul Fritze: Nicht nur online ein echter Social

Paul serviert uns eine Selleriesuppe, die überraschenderweise nicht nach Sellerie schmeckt. Ich frage nach, woran das liegt. „Das Stechende des Selleries kriegst Du mit Essig weg. Und dann ist da noch geräuchertes Chillie dran – kaum scharf, bisschen Säure, dann geht das auseinander.“ Ein erster, wertvoller Küchentipp frei Haus von Paul Fritze an dessen Esstisch, an einem Mittwoch abend in seiner Wohnung in Schöneberg. Ich höre mich sagen: „Das ist tatsächlich wie ein Teppich.“

Rollin Restaurant

Paul führt mich durch seinen Drei-Zimmer-Altbau-Klassiker. Luftig, aufgeräumt, gemütlich. Hie und da Kerzen. Weinflaschen lagern im Esszimmer. Hier wird gelebt. Im Wohnzimmer stehen Kartons voller weißem Porzellan. „Das ist das Geschirr fürs Rollin Restaurant von unserem Sponsor Kahla.“ Natürlich will ich gleich die Küche sehen. Eine alte Brotschneidemaschine steht da als Deko – Irrtum, sie ist noch jeden Tag im Einsatz. Gewürze, Zutaten, alles griffbereit. Nichts ist hier Chichi, mich empfängt eine bodenständige und freundliche Atmosphäre.

 

Augenzwinkernder Charme

Die Löffel klappern an den Suppentassen und wir plaudern über die vergangenen Monate. @paulfritze ist der erste Mensch aus meiner Twitter-Timeline, den ich persönlich kennen gelernt habe. Anfangs hat mir einfach sein Name gut gefallen. Mit der Zeit habe ich die guten Tipps, die Anteilnahme und das augenzwinkernd Charmante schätzen gelernt. „Für viele bin ich der mit den Hörbüchern. Oder der mit dem Kochen“, beschreibt er seine Positionierung im Netz. Nur mit seinem Namen hat der 33jährige lange gehadert. „Stell Dir mal eine Kindheit vor mit dem Namen Paul Fritze. Das nervt.“ Sehr lange. Doch dann kam die Werbung. „Paul? Wer ist eigentlich Paul? Da war mein Vorname gerettet.“ Nur diesen setzt er dann auch beim Kontakt mit Restaurants ein. „Da bin ich einfach nur Paul.“

 

Wertvolle Lektüre

Neulich hatte ich bei Facebook nach Urlaubslektüre gefragt und er hat mir das ,Delivering Happiness’ von Toni Hsieh empfohlen. Pauls Tipps sind meistens exzellent, er gibt Dinge, die ihn begeistern, gern weiter. Nicht nur online ist er ein echter Social. Hsieh hatte ich dann schon vor dem Urlaub verschlungen . „Toni Hsieh und Gary Vaynerchuk haben mich wesentlich beeinflusst. Vaynerchuks ,Crush it!’ hat mich ins Internet gebracht, er war der Auslöser für Einfach Lecker Essen.“ Pauls Blog entsteht an einem Samstag abend aus dem Nichts heraus. „Nachmittags habe ich das zu Ende gelesen und um 23 Uhr war ich online.“

 

Produktives Arbeiten

Er plaudert weiter über Timothy Ferris’ Buch „Die 4-Stunden-Woche“, das zufälligerweise mich stark beeinflusst hat, die Idee von portraitzentrale.de überhaupt zu verfolgen. Paul sieht diese Lifestyle-Design-Berater mit differenziertem Blick. „Klar, das sind wunderbare amerikanische Träume, die da gezeigt werden. Aber es funktioniert bei vielen Leuten. “ Er begeistert sich für Ferris’ Produktivitäts-Tipps.  „Nur noch einmal die Woche montags vormittags Mails checken. Hallo??? Aber mittlerweile bin ich soweit, dass ich nur noch zwei Mal am Tag checke. Das ist echt ein Segen, da wird man deutlich produktiver.“ Doch blindlings folgt er nicht: „Diese Gurus sagen: ‚Du musst nur das tun, wofür Du Leidenschaft hast’ – aber das darf man meines Erachtens nicht allen Leuten erzählen.“

 

Kryptische Andeutungen

Das Stichwort Leidenschaft bringt uns natürlich sofort auf das Rollin Restaurant, das Paul mit Björn und dem andern Paul in unregelmäßigen Abständen initiiert. Pauls Augen strahlen von Natur aus qua ihres hellen Blaus schon sehr, aber die Farbsättigung geht nochmals hoch, wenn er über dieses Projekt redet; seine Emotion und Leidenschaft strömen in mein Diktiergerät. Er schildert mir die Perspektive der Gäste und die der Köche: „Für die meisten (Gäste) ist es so: ‚Ich treffe Leute, die ich nicht kenne, ich habe gerade vor 24 Stunden erfahren, wo das ist und was es gibt, wobei wir da auch meistens sehr kryptisch sind. Es ist der Reiz, bei etwas dabei zu sein, dass es so kein zweites Mal gibt.“

 

Reaktionen sind das größte

Und die Köche? Paul erinnert sich an das zweite Rollin Restaurant im Basecamp Unter den Linden, die Drei hatten das Essen serviert. „Wir standen hinter der Milchglasscheibe, aber man konnte durch das Base-Logo schauen, wie die Leute reagieren. Das sind Momente, die geil sind.“ Er erinnert sich an das Hochgefühl, wenn die Teller raus getragen werden. „Und einer sagt: ‚Hey, hast Du das gerochen?’ Wenn Du das kriegst, das ist das Schönste von allem.“ Ich stelle die Analogie zum Applaus für den Künstler her, doch davon will Paul nichts wissen. Kunst? Eher nicht. Hier kommt die gute Portion Bodenhaftung durch. Paul ist geerdet. Ein Macher: ja. Einer, der wert auf perfekte Ausführung legt: ganz bestimmt. Aber immer schön auf dem Teppich bleiben, bitte.

 

Menüplanung

Und wie kam das Rollin Restaurant in Bewegung? „Wir haben mal angefangen, neun Gänge für uns privat zu kochen. Wir funktionieren gut zusammen in der Küche, streiten im positiven Sinne.“ Zwei bis drei Wochen vorm Koch-Gig dominiert das Organisieren, das Üben, Abstimmen und 1.000 Kleinigkeiten die Freizeit. „Am Tag des Rolling Restaurants kochen wir das Menü zum dritten oder vierten Mal. Wir sind keine Profis. Schön, wenn es spontan aussieht, aber da stecken echt viele Überlegungen dahinter.“

 

Teamplayer Paul

Gegrübelt wird in den Kaffee- und Raucherpausen des Social-Media-Teams von Audible.de, zu dem alle drei gehören. „Da besprechen wir schon mal die Menüfolge.“ Echtes Teamwork. Und Paul gibt den Teamplayer nicht, er ist es: Während wir über sein Lieblingsbaby reden, sitzen Björn und Paul quasi mit am Tisch, er bezieht sie voll mit ein und berichtet begeistert über die ergänzenden Eigenschaften in ihrem Trio. „Paul ist der Wissbegierige, saugt alles auf, will viel lernen und ist unser größter Kritiker. Björn will immer alles neu ausprobieren, neu, neu, neu. Der möchte nichts zwei Mal servieren.“ Kurze Pause. Grinsen. „Außer Topinambur, das taucht irgendwie überall auf. Als Mousse oder Carpacchio. Ja und ich bin der Organisator und Gastgeber, hab Spaß am Kommunizieren, am Einladen, in den Netzwerken sein, bei der Ablaufplanung.“

 

Kein Freund von Blendwerk

Ich bitte Paul, ein Selbstbildnis zu skizzieren. Er schaut auf den vorgegebenen Rahmen und zögert. „Och nöööö“, mault er. Er malt einen Kochlöffel, und auf einen weiteren Zettel einen Strichmännchenkopf. Glücklich ist er nicht. „Musst Du entscheiden, welches Du nimmst.“ Zurück zum Thema Küche. Seine Bewunderung für Jamie-Oliver ist im Audible-Blog nachlesbar. „Ich bin kein Freund von Blendwerk, und das macht er nicht.“ Paul holt aus: „Der Typ macht. Der macht den Schubeck in der ganzen Welt.  Ich finde das bewundernswert, wenn jemand mit seiner Zeit sinnvolle Dinge anfängt.“ Will er ihn auch mal treffen? „Eher nicht. Dann stehst Du da – und dann? Aber es wäre sicherlich nett, in einer Küche mit ihm zu stehen und ein Bierchen zu trinken.“

 

Die Auster im Topf

Im gleichen Atemzug nennt Paul ein kulinarisches Ziel mit einem Vorbild, das er auf der persönlichen Watchlist hat: „Ich bewundere René Redzepi und sein Noma in Kopenhagen. Der geht so unglaublich penibel vor in den Dingen.“ Paul erläutert seine Begeisterung für Perfektion anhand eines Gerichtes im Noma: „Der Typ hat keine Grenze, er perfektioniert ins Unendliche: Er nimmt einen kleinen schwarzen Topf, da kommt Meerwasser rein, Steine, Algen und lauter Zeug, was er am Strand findet, der ist ja vor der Haustür, legt die Auster rein, dämpft die 30 Sekunden, kommt so an den Tisch, hebt den Deckel und sagt: ,Das Riechen, das Gucken, das Essen – jetzt sind wir perfekt.’ Mit René Redzepi mal kochen – ja klar.“

 

Positive Netzbilanz

Ein solches Erlebnis wird sicherlich eines Tages in seinen Streams bei Twitter, Facebook und Foursquare landen. „In den Netzwerken bin ich sehr reduziert“, beschreibt er sein Verhalten. Eine digitales Alter Ego ermöglicht das anonyme Testen der neuen Plattformen, die alle paar Woche im Netz hochpoppen. Pauls Netzbilanz ist unterm Strich positiv: „Ich habe in das Internet eine ganze Menge rein getan, aber ich habe noch viel mehr heraus bekommen. Das Kochen, ich war mit Leuten im Urlaub, habe tolle Leute kennen gelernt, esse und trinke heute wesentlich besser.“

 

Zusammenhalt bei Audible

Wir blicken auf den Jahreswechsel zurück und seinen verbalen Blog-Rückblick auf die Pläne, die er einst für 2011 geschmiedet hat. „Im Job machen wir alle für alles Pläne, das tut auch privat gut. 2011 war unfassbar voll.“ Das hat auch etwas zu tun mit dem beruflichen Aufstieg bei Audible.de zum Leiter Neukundenmarketing & Social Media. „Dass, was man draußen von mir sieht, ist das bisschen Social Media, das ich mit mache.“ Von draußen, da habe ich gleich die Team-Bilder im Kopf, die in Pauls Facebook oder auch im Audible.de-Blog zu sehen sind. Scheint eine tolle Mannschaft zu sein. „Das hat einen Hauptgrund: Entweder hast Du denjenigen eingestellt oder er Dich.“ Paul erklärt, dass bei Audible.de jeder das Recht hat, sich in ein Vorstellungsgespräch hinein zu setzen. „Und das nehmen dann meistens 15 bis 20 Leute von den 40 wahr.“ Erhält der Kandidat bei seiner Vorstellungs-Präsentation nur eine einzige Veto-Stimme, wird er nicht eingestellt – egal, für welche Position. Harte Sitten mit positivem Effekt. Paul grinst: „Ich hatte es nicht so schwer, war Nummer 7 oder 8.“

Paul der Weltreisende

Paul ist ein beruflich Weitgereister. Bei Jochen Schweizer gehörte er zum fahrenden Gewerbe auf höchstem Niveau: Shows und Events hauptsächlich in asiatischen Metropolen begeistern ihn zunächst als Praktikant, dann als Azubi und als parallel Fernstudierender. Am Ende sind es vier Jahre. Eine coole Ausbildung, mit Bungee-Jumping und der von ihm mit produzierten Show Vertical Catwalk bereist er viele Länder, inhaliert das Organisieren, das Sich-Kümmern.

Versorger Fritze

Um die Welt geht’s auch beim Dienst fürs Vaterland, 23 Monate bei der Marine als „freiwillig Längerdienender“. Sehr lässig: Die letzten drei Monate sind eine spontane Verlängerung, denn da steht die Karibik im Plan. „Das habe ich dann noch mitgenommen.“ Die Mütze auf dem Esszimmerschrank erinnert noch an den „Versorger Freiburg“. Wir lachen, denn das Beglücken der anderen war auch hier schon ganz sein Thema. Klassische Mädchenfrage: War das ein großes Schiff? „Bei der Marine schauen sie eigentlich nur auf die Versorger hinab“, ordnet er für mich ein. „Die haben eigentlich nur Klopapier und Bier an Bord.“ Na immerhin!

 

Home sweet home

Ich frage nach dem schönsten Platz auf der Welt. „Hier“, kommt es da sofort, „ich bin unglaublich gern zu Hause und mag ein zu Hause haben. Paul knüpft bleibende Erinnerungen an Erlebnisse mit anderen Menschen, nicht unbedingt an Orte. Daher plant er auch jetzt schon wieder die erneute Teilnahme am Foodcamp, organisiert von Florian Siepert. (Ich höre wohl nicht richtig – den Mann hat mir doch gerade @monkeypenny empfohlen zu besuchen – und Paul bekräftigt das. So klein ist die Welt. London, ich komme!!!). Paul schwärmt: „Du hängst in Italien in einem klischeehaften süditalienischen Dorf, hast ein Hotel inklusive Küche für Dich, fährst den ganzen Tag in der Gegend rum, suchst geiles Essen, machst das abends und isst zusammen. Viel schöner kann man es nicht machen.“

 

Das Leben aktiv anpacken

Die schönen Momente, das ist es, was Paul auf Reisen sucht. „Ich habe mal sechs Stunden allein über dem Grand Canyon gesessen. Oder ich habe Kinder gesehen, die in Kambodscha im Fluss spielten, als ich allein den Fluss hinunter fuhr. „Ich stehe auf Klischeemomente. Solche Momente will ich weiterhin herauf beschwören.“ Paul lächelt. „Pippi hat schon recht“, sagt er, und wir summen: „Ich mach’ mir die Welt, widewidewie sie mir gefällt…“

 

Paul möchte gern mehr wissen über:

 

@vergraemer

@ninawindisch

@annikarubens

 

Gespräch: 04. Januar 2012

Fotos: Kathrin Koehler

>>> Die Portraits im Überblick

6 Gedanken zu „Paul Fritze: Nicht nur online ein echter Social

  1. ines

    Tolles Potrait und ganz ehrlich ich kenne niemanden, niemanden, niemanden, der den Paul nicht mag, selbst meine 11jährige Tochter, die ihn auf einer Prima Vista kennengelernt hat, mag ich. Und ich mag dazu noch die Art des Interviews- tolle Idee!!

    Antworten
    1. kathrin Artikelautor

      Vielen Dank, das freut mich wirklich sehr. Ja, das ist natürlich bei einer so sympathsichen Seele wie Paul sehr einfach – es geht hier ja zum einen um eine Momentaufnahme während des Besuchs zu Hause und aber auch um die generellen Eigenschaften und Geschichten des Portraitierten. Da habe ich bei Paul auch noch ne ganze Menge weg gelassen…

      Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert